... gute Nacht, John-Boy!
Rezension von "Wiedersehen in Little Falls" von Karin Bell in Text π [↓] & Ton π [ β³ ]
π Inhalt
Erfolgreiche Dark-Romance-Autorin prallt im amerikanischen Kleinstadtidyll auf sympathischen jungen Sheriff, der sogar seine Hemden selbst bügelt. Die Begegnung wird in bester Absicht, die beiden zu verkuppeln, von der Großmutter der Schriftstellerin herbeigeführt, die ihrer Enkelin im Sheriffbüro dazu einen Job als Praktikantin besorgt, während sie nach Inspiration für ihr nächstes Werk sucht. Der Plan geht auf - Schriftstellerin & Sheriff entwickeln Gefühle für einander. Dann plötzlich funkt ein anscheinend harmloses kleines Stück Papier dazwischen, das die aufkeimenden Gefühle jäh wegwischt ....
So wirkt der Roman auf mich
Nicht raffiniert, aber zum Wohlfühlen bestens geeignet. So könnte man die Essenz meiner Buchkritik zusammenfassen.
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Ja, ein gewisses Maß an Raffinesse kann ein Buch unglaublich interessant machen. Ausgeklügelte Plots, vor allen Dingen Plot-Twists, verwirrende Zeitsprünge, vielschichtige Charaktere, rasant wechselnde Schauplätze, vor Einfallsreichtum sprühende Elemente aus den Genres Fantasy oder Science Fiction, formal ungewöhnliche Aspekte, oder ein Milieu, das man den Lesern spannend präsentiert, die sich sonst genau dort weder aufhalten noch auskennen - all das sind Maßnahmen, um einem Roman ein gewisses Maß an Kompliziertheit zu bescheren, das beim Lesen fesseln kann.
In "Wiedersehen in Little Falls" arbeitet die Autorin, ohne einen einzigen dieser Kunstgriffe zu verwenden: Im Prinzip ist bereits im Prolog klar, wer zu wem findet. Die Geschichte verläuft streng linear auf einer Zeitachse und spielt nur an zwei Schauplätzen. Die Protagonisten, die im Mittelpunkt stehen, bieten ein durchaus überschaubares Maß an Charaktereigenschaften, die dem Leser präsentiert werden. Die Handlung? Hält sich an die heute bekannten Gesetze der Physik, ist also streng real.
Zu simpel? Das muss jeder Einzelne beim Lesen für sich selbst entscheiden, darüber lässt sich von außen kein Urteil fällen. Jeder Leser sucht bei seiner Lektüre etwas - ob sich das in diesem Werk finden lässt, hängt vollkommen von den individuellen Bedürfnissen ab.
Schlicht, aber die amerikanische Kleinstadtidylle hat schon lange beste Konjunktur!
Tatsache ist, dass dieses spezielle Subgenre [American Smalltown Romance] des Liebesromans schlichtweg funktioniert: Inzwischen tummeln sich etliche amerikanische Großfamilien in buchreiheneigenen Provinznestern, die geradezu unanständig sympathisch beim Lesen rüberkommen.
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Mich persönlich erinnern solche Werke kollektiv an die zwischen 1972 bis 1981 gedrehte Endlos-Serie "Die Waltons", eine Großfamilie, die sich zur Zeit der großen Rezession der 1930-er Jahre in den ländlichen Bereichen der USA Schulter an Schulter mit den Herausforderungen des täglichen Lebens auseinandersetzt. Da kommen sogar die Krisen kleinstädtisch und irgendwie handlich daher. Das Ende jeder Folge besteht übrigens in den Worten: "Gute Nacht, John-Boy!", mit denen die jüngste der Walton-Schwestern ihrem großen Bruder eine angenehme Nachtruhe wünscht - daher die Überschrift meiner Rezension. [Wem “Die Waltons” nichts sagen, der kennt wahrscheinlich “Unsere kleine Farm”, das fleischgewordene Gutmenschentum des vorindustriellen Zeitalters in Amerikas mittlerem Westen: Ähnlichkeiten sind wahrscheinlich nicht zufällig, sondern beabsichtigt.]
Der Zuschauer ist in diesen Serien immer wieder aufs Neue eingeladen, sich in die Gemeinschaft der spätestens ab Folge fünf gut bekannten Charaktere der einzelnen Familienmitglieder quasi einzureihen, um in der vertrauten lokalen Umgebung mit ihren ebenso vertrauten Protagonisten Nähe und familiären Zusammenhalt zu erfahren.
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Wie schon gesagt, das funktioniert am Markt ausgezeichnet: Das Bedürfnis nach dieser behaglichen Denkpause im Hinblick auf das eigene Leben ist momentan angesichts der (noch immer nicht ausgestandenen) Herausforderungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wie auch in Bezug auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und den damit verknüpften Sorgen groß.
Vor allen Dingen ist diese Sehnsucht aufseiten der Leser, einfach innerlich eine Art Urlaub im emotionalen Schlaraffenland anzutreten, absolut legitim: Jemand, der sich permanent auf Gefühlsebene ehrlich und ernsthaft mit dem bereitwillig durch die Medien frei Haus gelieferten Leid der Welt rundum auseinandersetzt, zerbricht und höhlt mit Sicherheit seine eigene Fähigkeit zu echten Empfindungen auf die Dauer aus.
Also, ab nach Little Falls! Dort kennt jeder jeden - was in unserer zunehmend verstädterten und anonymisierten Lebensart nicht der Fall ist und dem urmenschlichen Bedürfnis nach Geborgenheit schlichtweg nicht entspricht.
Wozu Senioren fähig sind …
Auf eine wirklich intelligente Art erweitert die Autorin das Spektrum potenzieller Leser ihrer Buchreihe hinsichtlich der Altersstruktur nach oben: Die Generation der Großeltern in Little Falls beweist eindrucksvoll, dass weder Emotionen, noch Kreativität oder Bedürfnisse der unterschiedlichsten Art etwa mit Vollendung des 70. Lebensjahres enden. Die Senioren in der Kleinstadt mischen in der Handlung kräftig mit, sind natürlich ebenso sympathisch wie die jüngeren Mitbürger und sie tragen zum positiven Funktionieren der Gesellschaft bzw. der Story ganz entscheidend bei.
Die Lektüre empfiehlt sich also nicht nur für liebeshungriges Jungvolk, für Menschen mittleren Alters auf der Suche nach einem "Seitensprung", um das eigene Liebesleben durch externe Reize zu bereichern, sondern eben auch für sogenannte Best-Ager, die dazu stehen, dass sie emotionale Bedürfnisse haben und diese befriedigen wollen.
Fazit: Spielraum nach oben, aber stimmig
Mir persönlich kam die Beschreibung der Entwicklung von Gefühlen zwischen den beiden Hauptfiguren zu kurz. Aber das ist Geschmackssache.
Auch die Krise, die den sogenannten Heldenreisen auf dem Weg zum Erfolg (Happy End) eigen ist, empfand ich als etwas zu simpel, vor allen Dingen hinsichtlich der Auflösung.
Eine ordentliche Portion Humor hilft aber beim Lesen über diese “stilistischen Schlaglöcher” auf dem Weg der Story geschmeidig hinweg.
Außerdem: Das Phänomen ist nicht untypisch für Reihen - je mehr Bände sie umfassen, desto sparsamer muss ein Verfasser mit Highlights im Plot umgehen, denn die fallen schließlich nicht wie Blätter von den Bäumen. π
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Sprachlich besitzt der Roman Spielraum nach oben: Zahlreiche Hilfsverben ließen sich meines Erachtens nach durch ausdrucksstärkere Vollverben ersetzen, um der Story mehr Tiefe zu verleihen - möglicherweise ist das aber auch gar nicht gewollt. Soll ja keine hochgestochene Literatur sein - ist es auch nicht. Aber ein in sich stimmiges Reihenkonzept, das der Leserin (Es fällt mir schwer, mir hier eine männliche Leserschaft vorzustellen…) eine angenehme Auszeit bescheren soll, in deren Verlauf Töpfe Deckel finden und Probleme sich lösen lassen.
Am Ende des Bandes #3 kündigt sich - auch typisch für das Genre -, an, welcher Protagonist als Nächstes verkuppelt wird: Man darf gespannt sein …
Daher insgesamt gerne βͺβͺβͺβͺ.
π Und hier die Buchkritik von "Wiedersehen in Little Falls" zum Nachhören
Teil 1 der Rezension
Teil 2 der Rezension
Technische Daten zum Buch / Impressum
Erstausgabe August 2022
Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
Made in Stuttgart with ♥
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-96817-826-4
Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-364-1
Covergestaltung: Anne Gebhardt
unter Verwendung von Motiven von
shutterstock.com: ©vladmark, ©krissikunterbunt , ©eva_mask, ©paranormal, ©George J
depositphotos.com: ©Tawng
elements.envato.com: ©PixelSquid360
Lektorat: Carolin Diefenbach
Das gesamte Verlagsprogramm findest du hier
Herzlichen Dank an dp!
Die DIGITAL PUBLISHERS GmbH hat mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt, wofür ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte! π
Bei dieser Rezension handelt es sich um eine Form unbezahlter Werbung.
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